Drechseln als Therapie

«Drechseln hilft, den Kopf zu klären»

Von Claudia Salzmann. Aktualisiert am 09.03.2010

Gerhard Kollien, Heizungs- und Belüftungstechniker, wurde im Alter von 58 Jahren von seinem Arbeitgeber in die Pension geschickt. Nachdem die Enttäuschung überwunden war, half ihm sein Hobby, das Drechseln, weiter.

Spähne fliegen, die Maschine macht einen Heidenlärm. Gerhard Kollien steht an der Drehbank, und es macht ihm sichtlich Spass. Seit gut zwanzig Jahren ist Drechseln sein Hobby. Beim Drechseln wird ein Stück Holz in die Drehbank gespannt, das Holz dreht sich, und mit einem Meissel werden verschiedenste Muster ins Holz gedreht. Seit sieben Jahren ist Gerhard Kollien pensioniert, aber auch als er noch gearbeitet hat, waren die Holzarbeiten wichtig. Damals, vor dreizehn Jahren, war er als Heizungs- und Belüftungstechniker tätig. Bei einem zahlenlastigen Beruf wie diesem habe man am Ende des Tages den Kopf voller Zahlen, so suchte er Ablenkung beim Drechseln. Die ersten Arbeiten waren aus Nussbaum- und Apfelbaumholz, doch sie waren «für die Katz», meint Kollien lachend. Wenn seine Arbeit eine Holzmaserung zu Tage förderte, war dies ein Erfolgserlebnis, da die Maserung eine Arbeit einzigartig machte.

Später fing der 73-Jährige an, mit verschiedenen Hölzern gleichzeitig zu arbeiten. Er leimte sie zusammen, und so vervielfachten sich die Möglichkeiten. Irgendwann versuchte er aus Sperrholz eine Schale zu drechseln. Seine Freunde, die sich mit dem Drechseln auskannten, sagten ihm, dass man mit Sperrholz nichts machen könne. Gerhard Kollien glaubte ihnen nicht und versuchte es aus Trotz. Und siehe da, die erste Schale ging nicht in die Brüche! Seither ist Kollien dem Material Sperrholz treu geblieben, das er im Baumarkt kostenlos beziehen kann.

(Zu) teure Unikate

Eine Drechslerarbeit erfordert viel Planung – rund einen Drittel der Zeit, die Gerhard Kollien für eine ganze Schale benötigt, wendet er für die Planung auf. Verkaufen lassen sich die Unikate nur schwer, da er einen zu hohen Preis verlangen müsste und er preisgünstige Konkurrenz an den Märkten hat. Doch als Geschenk an Freunde eignen sie sich hervorragend. «Viele Rentner sitzen herum und wissen nicht, was mit der vielen Zeit anstellen», erzählt der gebürtige Deutsche. Er und seine Frau wollen ihre Zeit gut nutzen und aktiv sein. Die beiden haben sich beim Zahnarzt kennen gelernt, er war Kunde, sie arbeitete als MPA. Heute wohnen sie in Konolfingen.

Ist Gerhard Kollien in der Garage mit Drechseln beschäftigt, so bastelt seine Frau Rösli im Wohnzimmer an Karten. Doch sie haben auch ein gemeinsames Hobby: An drei Abenden pro Woche gehen sie tanzen. Gut und gerne zehn Tänze haben sie erlernt, darunter auch Rock’n’ Roll. Für die beiden ist Harmonie in der Beziehung sehr wichtig, sagt Rösli Kollien. Ihr Mann schaut sie liebevoll an und fügt hinzu: «Wir können uns auch glücklich schätzen, dass wir beide gesund sind.» Trotz allem sind sie unterschiedliche Menschen, sie ist ein Morgen- und er eher ein Nachtmensch. Gerhard Kollien wurde mit 58 Jahren frühpensioniert. Sein Arbeitgeber deponierte die Bilanz beim Konkursamt, und mit Gerhard Kollien stand die ganze Belegschaft auf der Strasse. In diesem Alter sei es besonders schwierig, etwas zu finden, gerade auch wegen der hohen Sozialabzüge, die eine Firma bezahlen muss. Später kam ans Tageslicht, dass die Firma nicht alle Pensionskassenbeiträge bezahlt hatte.

Frust und Glück

Zuerst sei er wütend gewesen, und in dieser einjährigen Phase habe er keine Drechslerarbeiten mehr ausgeführt, sagt er. Kurz vor der Frühpensionierung habe er noch gelernt, mit dem Computer zu arbeiten, was ihm stundenlange Berechnungen auf wenige Klicks verkürzte. Mit der Einführung des Computers an seinem Arbeitsplatz nahm auch sein Hobby einen anderen Stellenwert ein. Zwar habe er viel gearbeitet, aber richtig glücklich sei er dabei nicht geworden. Erst wenn er zu Hause an der Drechslerbank stand, konnte er sich abreagieren. Kurz nach der Pensionierung gab es einen finanziellen Notstand, doch die Kolliens haben gelernt, die Zeit mit bescheidenen Dingen zu verbringen. Bescheidenen Dingen wie Drechseln. Manchmal lässt es Gerhard Kollien aber auch heute noch monatelang bleiben. Eine Idee müsse zuerst reifen, er wolle sich doch nicht unter Druck setzen. Wenn dann wieder Freunde zu Besuch gewesen seien und einige Schalen fehlten, dann sei es bald an der Zeit, wieder einmal zu drechseln.

Quelle: Bernerzeitung.ch/Newsnetz

Nach vielen Jahren als Kurs- und Werkstattleiter in Arbeitslosenprojekten ist auch für mich die Drechslerei mehr als nur ein schönes Hobby. Jeden Tag an der Bank zu stehen ist für mich das erklärte Ziel. Leider klappt es nicht immer. Die Situation rund um die Coronakrise macht mir das Leben nicht einfach. Für was soll ich drechseln, wenn ich das Erarbeitete nicht auf Mäkten anbieten kann? Kurse konnten auch weniger angeboten werden. Vieles hat plötzlich gefehlt und wird nie mehr so sein wie früher. Zum Glück habe ich Drechselbänke, an denen ich meinen Kopf immer wieder lüften kann und die Kraft für die tägliche Verantwortung finde. Die Drechslerei ist für mich nicht nur eine Tätigkeit zum Broterwerb, sie ist für mich Balsam für die Seele und Psychohygiene. Ohne geht es nicht.

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